Startseite | Datenschutz | Impressum

Freier Autor

Als freier Autor sind Themenrecherche sowie das Schreiben von Texten die Basis meiner Arbeit. Am liebsten erstelle ich für Sie komplette Texte bis hin zum vollständigen Buch.

Dr. Georg Ruppelt als freien Autor anfragen


Bin ich der Richtige für Ihren Auftrag? Auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage werden Ihnen vielleicht die beiden folgenden Texte helfen.

Beim ersten handelt es sich um die Laudatio, die Dr. Christine van den Heuvel, Präsidentin des Niedersächsischen Landesarchivs anlässlich der Verleihung des vom Heimatbund Niedersachsen und der Landeshauptstadt Hannover verliehenen „Cord-Borgentrick-Steins“ auf mich gehalten hat.

Der zweite Text ist die Science-Fiction-Geschichte „Hanno Verus. Eine Erzählung aus dem Jahr 2046“, die ich für denselben Anlass geschrieben habe.

Laudatio auf den Träger des Borgentrick-Preises 2014 - Dr. Christine van den Heuvel

Sehr geehrter, lieber Herr Ruppelt,
sehr verehrter Herr Bürgermeister Hermann,
sehr geehrter Herr Strelow,
liebe Freunde des zu Ehrenden,
meine Damen und Herren!

Es ist mir eine besondere Freude und Ehre als Leiterin des Niedersächsischen Landesarchivs in Hannover die herausragenden Verdienste des Direktors jener Institution in Erinnerung zu rufen, die für mehr als 250 Jahre mit dem Archiv unter einem Dach vereint war. Wenn unsere Institutionen 1976 auseinandergegangen sind, dann geschah das seinerzeit aus einem ebenso zwingenden wie erfreulichen Grund: Beide Einrichtungen waren zu groß geworden, sie brauchten mehr Platz, und das bereits damals schon seit Jahrzehnten.
Die Bibliothek bezog 1976 ihren Neubau am Schützenplatz, das Archivgebäude am Waterloo- Platz wurde in der Folgezeit grundsaniert. Für beide Einrichtungen reichte zum damaligen Zeitpunkt die Magazinfläche längst nicht mehr aus: Die Bibliothek hat heute ihr Außenlager in Rethem, das Landesarchiv die Außenstelle in Pattensen.

Unsere Vorgänger, lieber Herr Ruppelt, konnten sich für einige Jahre mit dem Erreichten zufriedengeben, doch nichts ist von Dauer: Dem Archiv stehen heute erneute Umbau- und Renovierungsarbeiten bevor und Ihre Bibliothek, ein in den frühen 1970er Jahren geplanter Betonbau, bedurfte wohl noch dringender als ein 300 Jahre altes, denkmalgeschütztes Gebäude der grundlegenden Sanierung. Baubestandserhaltung ist eine Kernaufgabe sowohl in Archiven als auch in Bibliotheken und eine Grundvoraussetzung für die Arbeit unserer beiden Institutionen.
Damit sind wir bei der Aufgabe, der Sie sich, lieber Herr Ruppelt, in den letzten 12 Jahren mit unvergleichlicher Energie gewidmet haben: Der Neupositionierung der Niedersächsischen Landesbibliothek in der Kultur- und Wissenschaftslandschaft Hannovers, Niedersachsens und weit darüber hinaus.

Ein funktionsfähiges und besucherfreundliches Gebäude ist dafür eine Voraussetzung; noch mehr aber bedarf es der Inhalte für diese Neupositionierung. Die Sanierung von Beton braucht Zeit, bei den Inhalten konnten Sie gleich bei Amtsantritt im Jahre 2002 wesentliche Akzente setzen.
In Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn hatten Sie dafür alle Voraussetzungen geschaffen. Promoviert wurden Sie 1979 in Braunschweig mit einer Arbeit über Friedrich Schiller, in der Sie sich dem Klassiker nicht immanent literaturwissenschaftlich widmeten, sondern den Missbrauch von Namen und Werk in der Zeit des Nationalsozialismus aufzeigten.

Ihr bibliothekarischer Berufsweg führte Sie von Wolfenbüttel nach Hamburg und zurück nach Wolfenbüttel, wo Sie von 1987 bis 2002 als Stellvertreter Paul Raabes und als Leiter des Bibliotheksbereichs in der Herzog August Bibliothek wirkten. Ihr Wechsel nach Hannover im Jahre 2002 zeigte - das muss hier besonders hervorgehoben werden -, dass entgegen allen Vorurteilen zwischen Braunschweig und Hannover nicht nur ein friedliches Miteinander, sondern auch ein fruchtbarer Austausch, ja, ein Leben in beiden Städten möglich ist.
Schon zu Beginn Ihrer beruflichen Laufbahn waren Sie in den bibliothekarischen Berufsverbänden aktiv und betrieben - wie man heute sagen würde - ein zeit- und arbeitsaufwendiges networking, das in späteren Jahren nicht zuletzt der Neuausrichtung der Niedersächsischen Landesbibliothek zugutekommen sollte.

Von 1979 bis 1987 waren Sie Vorsitzender des Landesverbandes Hamburg im Verein Deutscher Bibliothekare, von 1979 bis 1990 Vorstandsmitglied im Bundesverband, von 1995 bis 1998 Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes, von 1995 bis 2000 zunächst Vizepräsident, dann von 2000 bis 2006 schließlich Präsident des Dachverbandes 'Bibliothek und Information Deutschland'. Die Vizepräsidentschaft des Deutschen Kulturrates, die Mitgliedschaft im Beirat des Goethe-Instituts, der Vorsitz in der Stiftung 'Lesen' und die Mitgliedschaft in der deutschen Unesco-Kommission in den Jahren 2000-2006 führten Sie weit über das berufsspezifische Ehrenamt hinaus. Mit der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes im Jahre 2005 fand dieses vielfältige Engagement seine gebührende Anerkennung.

Alle Ehrenämter hier aufzuführen, würde den mir gesetzten Zeitrahmen ebenso sprengen wie die Auflistung Ihrer nach Hunderten zählenden Publikationen. Nicht unerwähnt bleiben soll jedoch Ihre Tätigkeit im Beirat der Arbeitsstelle für Provenienzforschung und im Expertengremium des Deutschen Kulturrates zum NS-Raubgut. Im Rahmen der dort formulierten Aufgabe, nämlich das in der NS-Zeit geraubte Kulturgut, konkret die enteigneten Bücher jüdischer Mitbürger, aufzuspüren, zu erfassen und wenn möglich zu restituieren, und zugleich die Einzelheiten dieses historischen Unrechts zu erforschen - mit dieser Aufgabe hat die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek unter Ihrer Leitung eine Vorreiterrolle übernommen und mit vier diesbezüglichen Tagungen zwischen 2002 und 2012 nationale wie internationale Beachtung gefunden.

Bei Ihrem Amtsantritt im Jahre 2002 befand sich die Niedersächsische Landesbibliothek in einer schwierigen Umbruchsituation. Die Fachbereichsbibliotheken waren der Universität zugeordnet worden, der Kern Ihrer Bibliothek musste ein neues Aufgabenspektrum finden, sollte ihre Eigenständigkeit langfristig und nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Der Weg, den Sie gewählt haben, um die bedeutendste öffentliche Bibliothek unserer Landeshauptstadt neu auszurichten, lässt sich mit wenigen Worten umschreiben: es ging und geht um die Fortführung der Kernaufgaben einer wissenschaftlichen Bibliothek, nämlich die Literaturversorgung für die Wissenschaft und die hannoverschen Bürger, um die Wahrung bibliothekarischer Kernkompetenzen im Zentrum für Aus- und Fortbildung, darüber hinaus aber um eine konsequente Hinwendung zur kulturell interessierten Öffentlichkeit und - eng damit verknüpft - die Etablierung eines Markennamens.

Für die stärkere Einbeziehung der Öffentlichkeit steht die Gründung eines Freundeskreises der Bibliothek, die Einrichtung der Akademie für Leseförderung, dafür stehen mehrere Publikationsreihen und ein breites Vortragsprogramm, das die Bürger Hannovers anzusprechen sucht und bis heute auf große Resonanz stößt. Mehr als 1.400 Veranstaltungen wie Ausstellungen, Vorträge und Lesungen haben seit 2002 in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek unter Ihrer Ägide stattgefunden.

Für den Markennamen, die trademark, steht der Name des Universalgelehrten Gottfried Wilhelm Leibniz. Mit dem größten Teil des Leibniz-Nachlasses - den zweitgrößten beherbergt das Landesarchiv -, der von der Akademie in Göttingen getragenen Leibniz-Edition und weiteren Leibniz-Aktivitäten in Ihrem Hause verfügte die Bibliothek über die besten Voraussetzungen, salopp gesprochen, dem Keks den Rang abzulaufen - oder zumindest diesem trockenen Hartgebäck nicht allein das Feld zu überlassen. Der Erfolg dieser Strategie wurde bald sichtbar: Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur konnte von der "Notwendigkeit eines guten Namens" überzeugt werden. - Der Titel geht im Übrigen auf eine Maxime von Leibniz zurück.

So wurde 2005 aus der Niedersächsischen Landesbibliothek die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, 2007 gelang die Aufnahme der in Ihrem Hause aufbewahrten Leibniz-Korrespondenz als zehntes deutsches Dokument in das UNESCO-Weltdokumentenerbe. Und 2008/2009 konnte der hannoverschen Öffentlichkeit ebenso wie der niedersächsischen Landesregierung mit der bundesweit beachteten Ausstellung bookmarks in der Kestner-Gesellschaft - über die selbst die Frankfurter Allgemeine Zeitung auf Seite 1 berichtete - eindringlich vor Augen geführt werden, welche Schätze die Bibliothek beherbergte, wie wenig sie aber auch in der Lage war, die Zimelien der Öffentlichkeit im eigenen Gebäude zu präsentieren. In jüngster Zeit ist dieses Dilemma nochmals anhand des Goldenen Briefes in der Landesausstellung zur britisch-hannoverschen Personalunion im Landesmuseum Hannover demonstriert werden.

Ihre Strategie, lieber Herr Ruppelt, auf diesen wunden Punkt hinzuweisen, hatte Erfolg; Sie erhielten 2009 die Zusage über 10 Millionen Euro aus den Konjunkturprogrammen von Bund und Land für die grundlegende Renovierung der Bibliothek und ihren Ausbau zur Landes- und Forschungsbibliothek.

Ihr Verdienst hieran, lieber Herr Ruppelt, ist unbestritten! Aber Sie werden zugeben müssen, dass noch etwas hinzukam, das meines Erachtens nur mit einem Kernsatz Leibniz'scher Philosophie zu erklären ist, nämlich mit der Überzeugung, dass es kein Übel in der Welt gibt, das nicht die Voraussetzung für etwas Gutes in sich birgt. Kurz gesagt: Ohne Lehman-Pleite kein Konjunktureinbruch im Jahre 2008, ohne Konjunktureinbruch kein Konjunkturprogramm, ohne Konjunkturprogramm keine Finanzzusage des damaligen Ministerpräsidenten für den Umbau der Bibliothek.
Die Juroren des Cord-Borgentrick-Preises werden es Ihnen sicherlich verzeihen, dass Sie sich in diesem Fall nicht an die Lehre gehalten haben, welche die Bürger Hannovers seinerzeit 1490 aus dem von Cord Borgentrick vereitelten Überfall Heinrichs des Älteren auf die Stadt gezogen haben: "Traut nicht den Fürsten!"

Ihr Vertrauen, lieber Herr Ruppelt, wurde nicht enttäuscht - das vom heutzutage demokratisch gewählten 'Landesfürsten' und seiner Regierung zugesagte Geld floss tatsächlich und es wird zurzeit noch verbaut.
Der Umbau hat viele Einschränkungen im Benutzungsbetrieb zur Folge, aber auch hier resultiert aus dem notwendigen Übel etwas Gutes. In den letzten beiden Jahren war die Bibliothek mit ihrem Kulturprogramm in vielen anderen Einrichtungen Hannovers zu Gast und festigte damit eher noch ihren Platz in der Kulturlandschaft der Landeshauptstadt: Willkommener Gast waren Sie z. B. im Historischen Museum, im Landesmuseum, in der Villa Seligmann oder im Künstlerhaus, und auch das Gebäude des Landesarchivs ist vorübergehend wieder zur Bibliothek geworden: Einen Teil der älteren Bestände können die Benutzer während der Umbauphase bei uns einsehen.

Der Stein, mit dem Sie heute geehrt werden, wird ohne weiteres Zutun und auch ohne fernere Anstrengungen von Dauer sein; eine Einrichtung wie die Bibliothek hat es da etwas schwerer. Diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern mehr als 300 Jahre alt, und natürlich stammt auch sie aus der Feder Ihres Hausheiligen Gottfried Wilhelm Leibniz. Dank der fortschreitenden Edition seiner Briefe kann ich hier aus einem frisch entzifferten Manuskript zitieren: Als Leibniz 1706 der hannoverschen Regierung wieder einmal klar zu machen versuchte, dass die kurfürstliche Bibliothek eine höheren Anschaffungsetat benötigte, wählte er als verantwortlicher Bibliothekar für sein Anliegen einen eingängigen, bildhaften Vergleich:
"Eine Bibliothek", so erläuterte Leibniz dem zuständigen hannoverschen Minister Friedrich Wil- helm von Görtz, "ist nicht mit einem Stein oder einem Stück Metall zu vergleichen, sondern mit einem Lebewesen, das Nahrung braucht, um nicht zu verkümmern. Wenn lange Zeit keine neuen Bücher angeschafft werden, altert sie wie eine betagte Person, die nicht mehr à la mode ist" ("Une Bibliotheque n'est pas comme une Pierre ou comme un Metail, mais comme un Animal qui a besoin de nourriture pour ne point deperir. Si elle a esté longtemps sans qu'on ait acheté des livres nouveaux, elle viellit comme une personne agée qui n'est plus à la mode").

Ich wünsche Ihnen, lieber Herr Ruppelt, dass Sie die mit dem Stein dokumentierten Verdienste um die kulturelle Vielfalt Hannovers - in welcher Funktion auch immer - noch lange fortsetzen können, und dass die Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek weiter lebendig bleibt und gedeiht, gut gefüttert wird, sich neuen Anforderungen und Aufgaben gewachsen zeigt und weiterhin à la mode bleibt.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

Hanno Verus - Eine Erzählung aus dem Jahr 2046. Von Georg Ruppelt

"Nun wird es aber Zeit", knurrte Hanno Verus und wandte sich von der Mitte seines Wohn-Schlaf-Raumes ab, wo auf seinen knappen Befehl hin das Holo mit den Modellen von zwei riesigen Skulpturen erlosch, die er seit einer Stunde fasziniert betrachtet hatte. Das Holo hatte die Pläne für eine 100 Meter hohe und zehn Meter breite Eins und eine ebenso hohe, aber dreimal so breite Null dreidimensional im Format 1:30 abgebildet. Es war das Modell für ein riesiges Denkmal zur Erinnerung an Gottfried Wilhelm Leibniz und seine Dyadik, also den Binär-Code, das die Landeshauptstadt Hannover zwischen dem Landesarchiv und dem Waterloo-Biergarten mit Front zum Landtag errichten wollte und dafür Sponsoren suchte.

Die Anregung für die Errichtung des Denkmals war von Hanno Verus ausgegangen, der sich mit einem Seufzer an seinen altmodischen Schreibtisch setzte. Sofort erschien ein Arbeitshologramm über der Schreibtischfläche. Er musste ja noch seine Dankesrede für die morgige Ehrung mit dem 38. Cord-Borgentrick-Stein schreiben ...

"Nun wird es aber Zeit", sagt auch der Erzähler dieser Geschichte - nämlich Zeit, dass die verehrte Hörerschaft erfährt, was es mit diesem Hanno Verus und seinem merkwürdigen Namen auf sich hat. Das soll nun rasch geschehen. Unser Hanno wurde am 1. September 2010 als Hanno Bennes in New York geboren. 2020 zog die Familie nach Hannover, und mit 17 begann Hanno an der Leibniz Universität zu studieren, und zwar Philosophie und den damals noch neuen Studiengang Technokultur.

Schon in der Schule hatte er begonnen, für verschiedene Medien zu schreiben und setzte dies als Student fort. Er wählte dafür das Pseudonym Hanno Verus als Künstlernamen. Dieser wurde schließlich auch in sein Identifikationsimplantat im linken großen Zeh eingetragen. Die Namenswahl hatte aber nichts mit billiger Anbiederung an die Leser der hannoverschen Traditionsblätter zu tun - die man übrigens nach wie vor auch auf Papier als Print-on-Demand kaufen konnte. Auch die Empfänger des Sinnen-Kanals "Ich bin Du" wollte er damit nicht beeindrucken. Nein, Hanno Verus hatte diesen Namen gewählt, weil er als "Verus - der Wahre, der Wahrhaftige" seine Unbestechlichkeit und Glaubwürdigkeit betonen wollte.

Er hatte den Namen aber auch gewählt, weil er seine Heimatstadt ins Herz geschlossen hatte und sich für ihre Geschichte und Kultur intensiv interessierte und engagierte - daher die Ehrung mit dem Cord-Borgentrick-Stein, you know?! Eine kluge Entscheidung der Jury für die Vergabe des Preises! Vor vielen Jahrzehnten wäre sie von dem hannöverschen Dichter- und Performance-Duo Siggi und Raner wohl so kommentiert worden: "Nomen ist Omen, Siggi, ich sach's Dir."
Übrigens engagierte sich in gleicher Weise auch Hannos Freundin Sophie Chong, eine Architektin mit koreanischen Wurzeln, für Hannover. Sie hatte in ihrer Dissertation die gartenarchitektonischen Geheimnisse von Herrenhausen gelöst.

Nach dem Studium wurde Hanno Geschäftsführer des Sinnen-Kanals "Ich bin Du" - des erfolgreichsten in Norddeutschland. Dies verschaffte ihm materiell wie technisch die Grundlage, sich für die hiesige Geschichte und Kultur einzusetzen. Insbesondere, was das Andenken an den bedeutendsten Namen betraf, der mit dieser Stadt verbunden ist: Gottfried Wilhelm Leibniz. Und mit diesem Ansinnen fand er viele Gleichgesinnte, die sich in der Aktionsgemeinschaft "Leibniz - wer sonst!" zusammengefunden hatten.
Die Calenberger Neustadt und ihr Umfeld waren durch das Engagement dieser Gruppe im Laufe nur weniger Jahre zu so etwas wie dem kulturellen Herzen Hannovers geworden. Die Kirche, in der Leibniz' Gebeine ruhen, das Landesarchiv und die nahe Landes- und Forschungsbibliothek, die seinen Namen trägt, hatten nach und nach weitere kulturelle, wissenschaftliche, aber auch kommerzielle Unternehmen und Institutionen in dieses Stadtviertel gezogen.

Als bedeutendster Zuzug ist zweifellos das LNC, das Leibniz Neuro-Enhancement Center der Medizinischen Hochschule Hannover zu nennen. Es hatte 2030 in den Häusern der völlig umgestalteten Calenberger Esplanade Quartier genommen. Wie jedermann weiß, bedeutet Enhancement (engl. [a:], amerikan. [ae]) die Optimierung des Individuums durch Bio-, Chemo-, Nano- und verschiedene andere Technologien. Im Umfeld des Centers hatten sich Buchläden und Techno-Antiquariate angesiedelt, in denen man etwa DVDs, Bildschirme oder Smartphones kaufen konnte, sowie andere technische Antiquitäten, die man in vergangenen Zeiten statt als Implantate als Geräte mit sich herumschleppen musste.

Die Revitalisierung der Calenberger Neustadt lockte seitdem einheimische Besucher wie Touristen zuhauf an. Und dies besonders am Mittwoch und am Sonnabend, wenn auf dem Kirchplatz ein großes Bücher- und Musikfest gefeiert wurde und zwei Speakers-Corners keine Wünsche an Kreativität, Originalität und Skurrilität offen ließen.
Und genau auf dieses quirlige Viertel sollten die beiden weithin sichtbaren Monumente des Binär-Codes aus Edelstahl aufmerksam machen, deren Hologramme Hanno Verus eben so fasziniert betrachtet hatte.

Zu den touristischen Attraktionen der Landeshauptstadt gehört auch seit langem schon der Leibniz-Pfad. Ausgehend von der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek, vorbei an Landesarchiv, Neustädter Hof-und Stadtkirche, Leibniz Universität und Leibniz-Denkmal endet er am Herrenhäuser Schloss - und vice versa. Man kann den Pfad mit den Standard-Verkehrsmitteln Segway, Fahrrad oder gleit- und flugfähigen Skateboards bewältigen und ihn natürlich ebenso ablaufen; seit wenigen Jahren ist auch das Reiten mit echten oder Maschinen-Pferden auf dieser Strecke sehr beliebt geworden.

An all dies dachte Hanno, als er sich an seinen Schreibtisch setzte und seine Gedanken schweifen ließ. Und er dachte zurück an den 1. Juli dieses Jahres 2046, Leibniz' 400. Geburtstag. Was war das für ein Fest gewesen! Denn es wurde ja nicht nur das Universalgenie gefeiert, sondern auch das zehnjährige Bestehen des neuen Deutschlands! Das will kurz in Erinnerung gerufen sein.
Im Jahr 2036 war die große Strukturreform der Bundesrepublik wirksam geworden. In deren Folge wurden aus ehemals 16 Bundesländern neun. Im Norden ist seitdem die Freie und Hansestadt Hamburg umgeben von einem einzigen Bundesland namens Nordostseeland, dessen Metropole Hannover heißt.

Lange hatten sich Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern um eine Eingliederung Hamburgs in ein gemeinsames Bundesland bemüht. Doch Hamburg wollte seine Eigenständigkeit nicht aufgeben, und auch das Angebot, Hauptstadt des neuen Bundes- landes zu werden, hatte die Hanseaten nicht umstimmen können.
Bundespräsidentin Aisha Schiller hatte am Abend des 1. Juli 2046 in der neuen riesigen Leibniz- Halle der Hannover-Messe die Feierlichkeiten zur Neugestaltung Deutschlands eröffnet. Als Ein- gangsmusik hatte sich die Bundespräsidentin das uralte Lied Wind of Change gewünscht. Die 50- köpfige Scorpions Revival Band bot es so anrührend dar, dass die Festgäste in den Song ein- stimmten, der auch heute noch von allen europäischen Reformbewegungen als Hymne geschätzt wird.

Schiller, die vor ihrer steilen politischen Karriere zur Buchrestauratorin ausgebildet worden war, betonte in ihrer Eröffnungsrede, dass die derzeitige wirtschaftlich wie politisch starke Position der Bundesrepublik in der internationalen Völkergemeinschaft vor allem auf der konzertierten und intensiven Förderung von Wissenschaft und Bildung beruhe.
In der Tat hatten sich alle Redner ebenso wie die Festgäste mit den Entwicklungen der letzten Jahre sehr zufrieden gezeigt. Zudem trugen das herrliche Sommerwetter und ein ebenso an- spruchsvolles wie fröhliches Begleitprogramm - Bibliotheks- und Museumsbesichtigungen, Massennacktbaden im Maschsee - zum Gelingen des Kongresses bei.

"Ich schweife schon wieder ab", fauchte Hanno Verus, der in den schönsten Erinnerungen geschwelgt hatte. "Ich muss weniger in der Vergangenheit leben, sondern mehr an die Zukunft denken!"
Wütend ließ er das Arbeitsholo erlöschen, nahm einen uralten Bleistift und ein leeres Blatt Papier zur Hand und fing an zu schreiben:

"Es war am 24. November 2116, zehn Tage nach Leibniz' 400. Todestag ..."

  Alle Inhalte Copyright: Dr. Georg Ruppelt - freier Autor und Leitender Bibliotheksdirektor a. D.